EU-Rechtsbeugung

 

Mit Beginn des neuen Jahres wird auch der umstrittene „Vertrag von Lissabon“ wieder in den Blickpunkt gerückt. Dieser wurde ja zunächst aufgrund des irischen „Nein“-Votums als gescheitert angesehen. Nunmehr haben aber hartnäckige Verfechter des Vertragswerks spitzfindige juristische Methoden ersonnen, um den toten Vertrag wiederzubeleben:

Zunächst einmal wurde festgelegt, dass Irland nochmals abstimmen soll und dafür Zugeständnisse in Form von „Protokollanmerkungen“ bekommt. Darf aber die EU Irland wirklich zur nochmaligen Abstimmung veranlassen? Ein Gericht kann ja auch nicht zweimal über das gleiche Thema entscheiden, sondern es gilt das rechtliche Prinzip „ne bis in idem“ (Verbot, in einer Sache zweimal zu urteilen).

 

Eine Abstimmungswiederholung würde auch das bisher in der EU geltende Einstimmigkeitsprinzip de facto unterlaufen, indem einem bereits gültig ausgesprochenen „Nein“ die rechtliche Bindungswirkung genommen würde. Das wäre nicht anderes, als wenn man ein olympisches Finale wiederholen würde, weil man einen anderen Sieger oder Verlierer möchte.

 

Überdies sollen EU-Juristen nun den subtilen Plan ausgeheckt haben, den ersehnten Abschluss des Vertrages von Lissabon mit dem geplanten EU-Beitritt Kroatiens Anfang 2010 zu junktimieren, indem die „Protokollanmerkungen“ für Irland vertragstechnisch über den Beitrittsvertrag Kroatiens ratifiziert werden sollen.

 

Auch dies wäre aber rechtlich falsch: Denn zum einen wären Zugeständnisse an Irland – materiell betrachtet - eine inhaltliche Änderung des Vertrages von Lissabon und bedürften somit einer gesonderten Ratifizierung durch alle Mitgliedstaaten.

 

Zum anderen wäre eine derart willkürliche Junktimierung eine Vermischung von Äpfel mit Birnen. Für eine solche Verknüpfung fehlt nämlich ein hinreichender inhaltlicher Zusammenhang zwischen diesen beiden Rechtsakten. Einer solchen formalen Verklammerung mangelt es daher auch an einer legalen Basis im aktuellen „acquis communautaire“ (Gemeinschaftsrechtsbestand). Dieses müsste aber nach dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit nach EU-Recht beachtet werden. Somit wäre die angestrebte Vorgangsweise auch europarechtlich illegitim.

 

Außerdem erweist sich die spitzfindige Vorgangsweise – welche Ironie des Schicksals! – nur selbst für die Vertragsbefürworter, die sie ausgeheckt haben, als politisch ungünstig: So könnte etwa das angedrohte slowenische Veto gegen den EU-Beitritt Kroatiens auch die Ratifizierung des Vertrages von Lissabon blockieren. Das wäre zwar kein großer Schaden, aber er führt deutlich vor Augen, wie unsachgemäß die Verknüpfung des einen mit dem anderen ist. Insgesamt zeigt sich somit, dass jene EU-Fanatiker, die nicht bereit sind, die demokratische Entscheidung Irlands zu akzeptieren, sich selbst eine juristische und politische Grube gegraben haben, in die sie mitsamt ihren Rechtsbeugungsversuchen zu fallen drohen. Dadurch gewinnt das altbekannte Sprichwort „Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein“ in diesem Fall besondere rechtliche und politische Aktualität!

 

(RA. Dr. Adrian Holländer, Krone vom 5. Jänner 2009: