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“Doppelte Standards - doppeltes Spiel”

Skandal am Hindukusch: Bundesregierung belügt Bundestag

Warum Bundestagsabgeordnete und Journalisten vor der ISAF-Abstim-

mung am 28. September nicht mehr nach Afghanistan fahren sollten

- und welche Informationen ihnen die Bundesregierung vorenthielt.

 

Bei der bewaffneten Opposition in Afghanistan herrscht dieser Tage Hochstimmung: Der Nachschub an Waffen und anderem Material läuft glatt, es gibt frisches Geld, dies alles offenbar von den USA. Und an der Registratur in Pakistans großer Hafenmetropole Karachi stehen 700 junge Menschen Schlange, um als Selbstmordattentäter in ihren letzten Einsatz nach Afghanistan zu gehen – die Hälfte von ihnen junge Frauen.

 

Die Organisatoren und Kommandeure der bewaffneten Opposition Afghanistans telefonieren fleißig, das bringt die rastlose Arbeit in der pakistanischen Etappe so mit sich. Sie nutzen Fax und Internet, fahren bewaffnet mit ihren Jeeps durch Stadt und Land. Die zuständigen Führungsmitglieder sprechen sich mit ihren pakistanischen Verbindungsoffizieren ab – reisen dazu auch schon mal nach Islamabad. Pakistanisches Doppelspiel? Wohl kaum. Es kann unter diesen Arbeitsumständen keinen Zweifel geben: Dies alles geschieht nicht nur mit Wissen und Duldung, sondern mit dem Willen der USA. Geld und Waffen werden in bewährter Weise von den USA zur Verfügung gestellt und von Pakistans Geheimdiensten sozusagen im Lohnauftrag verteilt. Nachrichtendienstler würden hier von einer komplett unverdeckten Operation sprechen. Keiner der Beteiligten bemüht sich auch nur um einen Hauch von Geheimhaltung. Pakistans flexibler Präsident, der praktischerweise auch General ist, Muscharraf, hat es in seinem Memoirenbuch „In The Line of Fire“ („In der Schusslinie“) klar ausgedrückt: Wenn er den US-Freunden nicht zu Willen wäre, würden die sein Land ohne Zögern bombardieren.

 

Wichtig für das Verständnis der Geschehnisse der vergangenen Wochen ist jedoch auch, dass nun langsam die geheimen Bestandteile eines Vertrages durchsickern, den die pakistanische Regierung mit den Taliban schon am 5. Sept. '06 abgeschlossen hat – und der als Modellvertrag für die gesamte Grenze zwischen Pakistan und Afghanistan angesehen wird.

Zunächst wurde offen berichtet (s. taz v. 6.9.06):

•  Gegenstand des Vertrages: Waffenruhe zwischen pakistanische Truppen und Taliban im Vertragsgebiet Nord-Waziristan

•  Pakistanische Truppen ziehen sich in die Kasernen zurück und hindern die Taliban nicht mehr daran, sich in Nord-Waziristan frei zu bewegen (Enthauptung von Spionen etc.)

•  Im Gegenzug verpflichten sich die Taliban, in Afghanistan nicht mehr bewaffnet militärisch gegen das Kabuler Regime zu operieren.

•  NATO-Kommandeure haben dem Vertragsabschluss zugestimmt.

 

Verschwiegen wurde der Öffentlichkeit jedoch, dass:

•  die Taliban durch einen Geheim-Bestandteil des Vertrages freien Grenzübertritt nach Afghanistan erhielten

•  die Zustimmung der Taliban von höchster Stelle kam: Mullah Omar,

flüchtiger Taliban-Chef mit einem Kopfgeld von 25 Mio. US$

Diese Geheimhaltung geschah offenbar aus gutem Grunde:

•  Freier Grenzübertritt für Taliban gefährdet nicht nur OEF- und ISAF-Truppen sondern auch Einheiten der „Afghanischen Nationalarmee“

(ANA) und nicht zuletzt das Leben unschuldiger Zivilisten

•  Freier Grenzübertritt für Taliban gefährdet den nationalen Zusammenhalt Afghanistans und die gesicherte Fortführung zentraler Reformpolitik

•  Ein Vertragsabschluss mit den Taliban wertet diese in solcher Weise diplomatisch auf, dass alle Opfer bei der Bekämpfung dieser Gruppe in den letzten fünf Jahren vergeblich erscheinen durch den Status-Gewinn, den man den Taliban damit einräumt.

•  Bekanntwerden dieser Tatsachen im Bundestag vor der ISAF-Abstimmung hätte Entrüstung riskiert und das Ergebnis womöglich „verschlechtert“

 

Über die unvermutete Genehmigung des Vertrages durch NATO-Kommandeure äußerte sich in den letzten Tagen kein geringerer als Präsident Muscharraf. Die Folgen ließen seit Anfang September nicht auf sich warten: Die NATO meldet:

•  eine enorme Zunahme an militärischen Aktivitäten des Widerstandes in Afghanistan

•  eine Zunahme von 300% bei Grenzübertritten der bewaffneten Opposition von Pakistan nach Afghanistan

Also hält sich der afghanische Widerstand nicht an das Waffenstillstandsgebot des Vertrages. Und das war wohl auch gar nicht wirklich geplant:

•  In Miramshah operieren völlig offen zwei Büros der Taliban. Niemand darf dorthin, nicht einmal der Bundesnachrichtendienst. Laut Pakistan offiziell auch nicht US-Agenten - aber das glaubt niemand, weil es zu viele Augenzeugen für ihre Anwesenheit dort gibt.

•  In Nord-Waziristan lassen sich meistgesuchte Talibanführer nieder

•  Wenn gleichzeitig mit Vertragsabschluss Nachschub und Geldmittel an den Widerstand fließen, kann sich niemand wundern, wenn das Verbot des bewaffneten Kampfes nicht eingehalten wird.

 

Ein junger Banker, Abkömmling eines afghanischen Ministerpräsidenten, sagt, seine Geschäftsfreunde und er selbst auch zögen langsam ihre Familien und mobile Wertsachen aus Afghanistan ab. Das Vertrauen schwindet rasch, Unsicherheit macht sich breit.

 

In der Debatte des Bundestages zur Verlängerung des ISAF-Mandats am 28.9. wurden diese Dinge nicht besprochen. Verteidigungsminister Jung hielt zwar eine Rede, er forderte auch eine neue Strategie für Afghanistan – aber dass seine Generäle über die NATO daran längst mitwirken, dass es sie schon seit mehr als zwei Monaten gibt, das vergaß er offenbar zu erwähnen – ebenso wie sein Kollege Steinmeier, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch informiert war.

Jetzt gewinnen deutsche Bundestagsabgeordnete den Endruck, die Bundesregierung habe sie hinters Licht geführt. Die nächsten Tage und die Abstimmung über die Verlängerung des KSK-Einsatzes in Afghanistan durch Kabinett und Bundestag werden dies zeigen.

Nur warum hat die Bundesregierung dieses Betrugsmanöver unterstützt? Um die Chancen der Republikaner im US-Wahlkampf erhöhen zu helfen? Um für den geplanten Irankrieg mehr Truppen ins benachbarte Afghanistan zu bekommen?

 

Wir sagen: KSK und OEF beschädigen die Arbeit der ISAF nachhaltig.

Wir fordern:

•  KSK-Abzug und neue Strategie für ISAF und Wiederaufbau

•  Exit-Strategie für Afghanistan

•  Internationale Afghanistan-Konferenz

•  Echte Untersuchung der Vorgeschichte/Ereignisse des 11.9.2001


V.i.S.d.P.: Christoph R. Hörstel, Friedenskreis Deutschland, Oslostr.5, 81829 München

 

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