Energieautonomie
Hermann Scheer

ISBN 3-88897-390-2

Der Wechsel zu erneuerbaren Energien ist ein Wettlauf mit der Zeit - aus ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Gründen. Die Ablösung atomarer und fossiler Ergien kann weder über die konventionelle Energiewirtschaft noch über globale Verträge kommen. Der archimedische Punkt ist "Energieautonomie" - als politisches, technologisches und wirtschaftliches Konzept, das eine weltweite Dynamik in Gang sezten kann.

Die Erdölvorräte gehen zur Neige: Ressourcenkonflikte schüren die "neuen Kriege" unseres Jahrhunderts. Bei steigendem Energieverbrauch rast die Welt auf eine existenzielle Krise zu.
Deshalb wird derzeit massiv für die "Renaissance der Atomenergie" mobil gemacht, versucht die Energieindustrie mit allen Mitteln, ihre Vormachtstellung zu zementieren. Ein Spiel mit dem Feuer, denn nur ein umfassender Wechsel zu erneuerbaren Energien kann die Weltenergieversogung sichern. Warum fällt das Umdenken so schwer, mit welchen neuen Strategien und Technologien kann der Durchbruch gelingen?
Hermann Scheer beschreibt in seinem neuen Buch die vielfältigen mentalen Barrieren, die "Macht des tradierten Energiedenkens", zeigt aber auch, wie der Wechsel zu erneuerbaren Energien gelingen und unumkehrbar gemacht werden kann. Der archimedische Punkt dafür ist "Energieautonomie" - als vielfältig realisierbares politisches, techniologisches und wirtschaftliches Konzept.
Energieautonomie ist nur mit erneuerbaren Energien realisierbar - und kann sofort und überall ins Werk gesetzt werden: dezentral, individuell, mit unmittelbar spürbaren Folgen.
Die von Scheer entwickelte "neue Politik für erneuerbare Energien" führt die Energiediskussion aus dem geistigen Gefängnis des spezialisierten Energiedenkens heraus. Ein ideeler und praktischer Leitfaden für die längst fällige Energiewende.

Ausschnitte aus dem Buch:
Umso mehr könnten dann die Neigungen wachsen und die Hemmungen fallen, sich auf das möglicherweise gefährlichste Umweltabenteuer einzulassen: die Ausbeutung der Gashydrate über den Meeresböden - das "Feuer aus dem Eis", wie es Hans Schuh in einem Beitrag in der "Zeit" überschrieb. Dieses entstand aus der Verwesung von Algen und Plankton. Unter hohen Wasserdruck und Eiseskälte wurde dieses Potenzial größtenteils über lange Zeiträume zu Gashydraten verwandelt, die sich auf dem Meeresgrund ablagerten, statt über die Wasseroberfläche in die Atmosphäre aufzusteigen. Ein Liter dieses Hydrats enthält 164 Liter Methangas. Die Schätzungen versprechen Gasmengen in Meerestiefen und den Permafrostgebieten von Alaska, Kanada oder Sibiren, die auf das Doppelte der gesamten Reserven an Erdöl, Erdgas oder Kohle hinauslaufen, zwölf Billionen Tonnen Kohlenstoff. Das berauscht die Sinne. Vorsichtigere Schätzungen - wie das des Geopysikers Alexei Milkov in "Earth-Science Reviews" - sprechen "nur" von 500 bis 2500 Mrd t. Vielleicht ernüchtert das rechtzeitig und bremst den Gashydratrausch. Denn die Gefahren der Förderung sind unkalkulierbar.
Die Gashydrate, die auf manchen Meeresgründen eine Ablagerhöhe von tausend Metern haben sollen, tragen dazu bei, die Kontinentalhänge zu stabilisieren. Werden sie abgebaut, drohen Bergstürze in der Tiefsee, mit einem Tsunami unvorstellbaren Ausmaßes. Geophysiker vermuten, dass es vor etwa 8000 Jahren zwischen Island und Grönland wegen einer Erwärmung des Meerwassers zu einer Freisetzung von Methanhydrat gekommen ist und mehr als 5600 Kubikkilometer Kontinentalshelf in den Atlantik stürzten (die "Storrega-Rutschung"). Dadurch entstanden die norwegischen Fjorde, was eine Ahnung davon vermittelt, welche Kräfte diese Flut freisetzte. Gashydrate könnten zumindest die Gefahren für das Weltklima potenzieren:

- ihre Förderung, ob im Meer oder in den Permafrostgebieten, ist kaum rundum kontrollierbar und kann zu massiv steigenden Methanentweichungen in die Atmosphäre führen;

-eine Erwärmung der Meere durch die CO2-Emissionen könnte zu einer ohnehin befürchteten Richtungsänderung des Golfstroms führen, dass dieses Potenzial in Tsunami-trächtiger Weise virulent wird - wo auch immer.

Gleichwohl wird fieberhaft an Fördertechniken  für die Gashydrate gearbeitet, finanziert von Mineralölkonzernen und aus öffentlichen Mitteln. Im Golf von Mexiko ist bereits die Hydrate Energy International aktiv. Und was wird Russland tun, das heute 20 Prozent seiner Staatseinnahmen aus Gasverkäufen bestreitet, wenn es die internationale Gasnachfrage absehbar nicht mehr mit sein konventionellen Gasvorkommen befriedigen kann? Wird es sich den Zugriff auf die sibirischen Frostgebiete verkneifen können oder auf Gashydrate vor seiner Pazifikküste?

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