Die Zurückweisung der Verfassungsklage gegen die Integration Österreichs in die Europäische Union durch Beschluß des Verfassungsgerichtshofs vom 11. März 2009

 

Karl Albrecht Schachtschneider

Nürnberg, 20. April 2009

Auch Österreich ist kein Rechtsstaat mehr. Der Verfassungsgerichtshof hat die Österreicher beschieden, dass er ihre Verfassung nicht gegen das Unrecht der europäischen Integration zu schützen gedenkt. Der internationalistischen Politik, wer auch immer sie entworfen habe, stellen sich, wenn sie von den Regierungen vereinbart wurde, weder die Volksvertretungen noch die Gerichte der Völker entgegen. Der Verfall der Gewaltenteilung ist geradezu die Logik der Parteienoligarchie. Ein Verfassungsgericht soll die Verfassung vor der Politik schützen, aber der Verfassungsgerichtshof schützt die Politik vor dem Recht. Er verweigert den Bürgern die Erkenntnis der Rechtslage, weil sonst die Politik zurückweichen müßte. Nachdem die europäische Integration die Demokratie beendet hat, beugt sich auch die Gerichtsbarkeit der Integrationsideologie.

Der Verfassungsgerichtshof sollte auf Grund der Verfassungsklage der Bürgerplattform feststellen, dass die Bundesverfassungsgesetze und die Staatsverträge, aufgrund und mittels derer Österreich in die Europäische Union eingegliedert ist, insbesondere der Beitrittsvertrag vom 26. April 1994 bis hin zum Vertrag von Lissabon, mit der Bundesverfassung unvereinbar seien, die Bürger in ihren fundamentalen politischen Rechten verletzen und darum unanwendbar seien. Der Verfassungsgerichtshof hat die Anträge als unzulässig zurückgewiesen.

Präsidiert hat Professor Holzinger, der selbst die Beitrittsregelungen konzipiert hat, also in der Sache befangen war. Das Beitrittsverfassungsgesetz war so gestaltet, dass den Österreichern nicht klar werden konnte, daß sie sich durch den Beitritt in die Europäische Union von den Strukturprinzipien und Baugesetzen ihrer Verfassung weitestgehend verabschieden.

Das Gericht lässt es ausdrücklich offen, ob die Österreicher die geltend gemachten politischen Rechte überhaupt haben. Es sind die Rechte auf Demokratie, auf Rechtsstaat, auf Sozialstaat, auf Bundesstaat, insbesondere das Recht auf die Hoheit im eigenen Land (Souveränität); denn nach Art. 1 geht in der „demokratischen Republik“ Österreich „das Recht vom Volk aus“. Zusammengefaßt ist es das Recht auf Recht. Dieses Recht hat die Verfassungsklage auf die politische Freiheit und politische Gleichheit der Österreicher gestützt, welche aus deren Menschenwürde folgt. Untrennbar damit verbunden ist das Recht auf Wahlen zu einer Volksvertretung, welche die Rechtsetzung als dem allgemeinen Willen des Volkes im Wesentlichen verantwortet. Art. 44 Abs. 3 B-VG schützt die Bundesverfassung dadurch vor einer Gesamtänderung, daß sie nur aufgrund einer Abstimmung des gesamten Bundesvolkes geändert werden darf. Daraus folgt zwingend das Recht auf Durchführung einer solchen Gesamtabstimmung, wenn die Strukturprinzipien und Baugesetze der Bundesverfassung zur Disposition stehen. Die Integrationspolitik hat die Widerstandslage geschaffen, weil die Grundprinzipien einer freiheitlichen und gleichheitlichen Verfassung, nämlich Demokratie, Rechtsstaat und Sozialstaat, ruiniert sind. Daraus erwächst das Recht jedes Bürgers auf Schutz dieser Verfassung durch das Verfassungsgericht. Dieses aber verweigert den Schutz.

Das Gericht verlangt, dass der Antrag nicht nur darlegt, dass „das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreife“ und daß ein „derartiger Eingriff“ „nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt“ sei, nämlich „die (rechtlich geschützten) Interessen den Antragstellers nicht potentiell, sondern aktuell, beeinträchtige und dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des rechtswidrigen Eingriffs zur Verfügung“ stehe. Es verlangt darüber hinaus, daß, wenn „eine Norm zur Gänze angefochten“ werde darzulegen sei, „daß der Antragsteller hinsichtlich jeder einzelnen Regelung der angefochtenen Norm unmittelbar betroffen“ sei. Die Antragsteller hätten „nicht im Einzelnen dargelegt, aus welchen Gründen jede einzelne dieser Regelungen der zur Gänze angefochtenen Bundesverfassungsgesetze (und Staatsverträge) unmittelbar in ihrer Rechtssphäre eingreifen“ würden.

Diese Zulässigkeitsvoraussetzung ist absurd. Sie verkennt die Eigenart der geltend gemachten und verletzten politischen Rechte der Antragsteller vollständig. Die angegriffenen besonderen Bundesverfassungsgesetze haben die Staatsorgane ermächtigt, die Staatsverträge über die europäische Integration abzuschließen. Für den Vertrag von Lissabon ist dafür Art. 50 B-VG geändert worden. Die Substanz der Regelungen befindet sich in den Staatsverträgen selbst. Diese Verträge haben hunderte von Artikeln und unendliche Implikationen für die Rechtslage. Mit den Verträgen sind tausende von Rechtsakten der Europäischen Union in Österreich wirksam geworden. Es dürfte weit mehr als hunderttausend einzelne Regelungen sein, welche durch die Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union die Bundesverfassung und das gesamte nationale Recht Österreichs überlagern. Eingriffe in die Rechtssphäre der Antragsteller durch jede einzelne Regelung aufzuführen ist völlig ausgeschlossen.

Die Rechte der Österreicher werden spezifisch auch nicht durch die einzelnen Vorschriften verletzt (obwohl das der Fall sein kann), sondern durch die neue Ordnung insgesamt. Die vielen kompetentiellen, prozeduralen und materialen Vorschriften greifen ineinander und bilden eine Einheit, welche insgesamt die Demokratie, den Rechtsstaat, den Sozialstaat, den Bundesstaat, ja die Hoheit der Österreicher in ihrem Land beenden. Das ist auf den insgesamt 367 Seiten der Antragschrift ausführlich dargelegt. Es ist auch beispielhaft dargelegt, dass die Österreicher rechtliche Nachteile in der Landwirtschaft, am Markt, im Wettbewerb, an der Währung und in anderen Lebensbereichen erleiden. Mehr kann man nicht tun, um das Unrecht der Integrationspolitik vor Augen zu führen.

Der Verfassungsgerichtshof hat eine Ausrede herbeigezerrt, die es rechtfertigen soll, dass er in der Sache nicht entscheidet, augenscheinlich, weil das Unrecht der Verträge allzu deutlich ist. Er verkennt, daß die genannten politischen Rechte die Verfassungsordnung als die politische Ordnung schützen. Die politische Ordnung soll demokratisch, rechtsstaatlich, bundesstaatlich und sozial sein. Insbesondere darf sie den Österreichern nicht die Hoheit in ihrem Land nehmen. Die politische Struktur der Europäischen Union insgesamt, welche der Verfassungsordnung der Österreicher untergeordnet worden ist, ist das Unrecht. Jeder Österreicher hat ein Recht auf seine Verfassung, weil eine solche Verfassung mit jedem Menschen geboren ist.

Es geht nicht um besondere Rechte einzelner Österreicher, um Rechte, die er, aber kein anderer Österreicher hat, sondern um allgemeine Rechte, die jeder Österreicher hat, nämlich um politische Rechte, die logisch durch die Gleichheit und darum Allgemeinheit gekennzeichnet sind. Das demokratische Defizit der Europäischen Union ist unschwer zu erkennen und in der Antragschrift ausführlich dargelegt. Folglich geht es nur darum, anzuerkennen, daß jeder Österreicher ein Recht auf Demokratie hat. Genauso geht es darum, dass jeder Österreicher ein Recht auf Rechtsstaat, aber auch ein Recht auf Neutralität Österreichs usw. hat, weil das verfassungsgeschützte Baugesetze sind. Der Eigenart der skizzierten Rechte widerspricht es, Eingriffe in die Rechtssphäre durch jede einzelne Vorschrift der Vertragswerke zur Zulässigkeitsvoraussetzung der Rechtsklärung zu machen.

Der Sache nach reduziert der Verfassungsgerichtshof die Rechte der Bürger (vgl. Art. 140a Abs. 1 in Verbindung mit Art. 140 Abs. 1 S. 4 B-VG) auf den Schutz besonderer Rechte einzelner Menschen und macht den Österreichern den Schutz der allgemeinen politischen Rechte streitig, obwohl der Begriff „in ihren Rechten“ in Art. 140 Abs. 1 S. 4 B-VG umfassend ist. Diese Rechte sind auch und vor allem die Rechte, die jedem Österreicher zustehen, die politischen Rechte. Die politischen Rechte will der Gerichtshof nicht anerkennen, falls er sie überhaupt begreift. Damit verweigert er den Österreichern die Bürgerschaft in ihrem Lande und behandelt sie als Untertanen, welche nur ihre persönliche, besondere Rechtsphäre zu verteidigen berechtigt seien. Verletzt sind die Grundlagen des Gemeinwesens und damit jeder Österreicher als Bürger.

Ein Recht der Bürger auf substantielle Gesetzgebungsbefugnis des Nationalrates vermag der Verfassungsgerichtshof (entgegen dem deutschen Bundesverfassungsgericht) nicht aus Art. 24 in Verbindung mit Art. 26 B-VG herzuleiten, so daß die Bürger ihre demokratische Teilhabe an der Rechtsetzung nicht verteidigen können. Dieses Recht ist auch verletzt, wenn die materiellen Vorschriften, welche die Europäische Union (demokratiewidrig) erlässt, einzelne Bürger in ihrer Rechtssphäre gar nicht beeinträchtigt. Verletzt ist der Bürger als die zentrale Figur der Republik, wenn man so will, als Politiker.

Unfaßbar ist, dass der Verfassungsgerichtshof die kritisierten Anforderungen sogar für das Recht der Österreicher auf Gesamtabstimmung nach Art. 44 Abs. 3 B-VG aufrecht erhält, obwohl die Verletzung der oben genannten Baugesetze durch die Staatsverträge, welche ohne Abstimmung des gesamten Bundesvolkes durchgesetzt worden sind, ausführlich dargelegt sind. Es macht den Eindruck, als hätte das Gericht sich gar nicht der Mühe unterzogen, die Antragsschrift insgesamt zu studieren. Wenn die Bundesverfassung ihre Gesamtänderung von einer Abstimmung des gesamten Bundesvolkes abhängig macht, ist es selbstverständlich, dass jeder Österreicher ein Recht auf eine solche Abstimmung hat, wenn eine Gesamtänderung durchgeführt werden soll. Wer soll denn sonst die Verfassung gegen die oligarchisch strukturierten Bundesorgane verteidigen.

Daß der Verfassungsgerichtshof ein Widerstandsrecht nicht anzuerkennen vermag, überrascht wenig, aber seine Begründung, die Bundesverfassungsgesetze und Staatsverträge seien nicht in zulässiger Weise angegriffen worden, so daß sie geltendes Verfassungsrecht seien, ist geradezu abwegig. Der Verfassungsgerichtshof lässt den Rechtsschutz nicht zu, der durch die Bundesverfassung vorgeschrieben ist.

Mit dem Vertrag von Lissabon befasst sich der Verfassungsgerichtshof (erneut) nicht, weil der Vertrag noch nicht kundgemacht sei. Die Rechtsverstöße hängen aber nicht von der Kundmachung ab, weil sie vor allem die politischen Rechte der Bürger zu verteidigen suchen, abgesehen davon, daß die Kundmachung fraglos erfolgen wird, wenn alle Mitgliedstaaten den Vertrag ratifiziert haben werden. Die Verfassungsrechte der Österreicher sind entweder verletzt oder gefährdet.

Die Tür zum Verfassungsgerichtshof ist nicht völlig zugesperrt. Gegen jede einzelne Beeinträchtigung der „Rechtssphäre“ durch Rechtsakte der Europäischen Union, sei es durch das Primärrecht, sei es durch das Sekundärrecht, die Jahr für Jahr hunderttausendfach vorgenommen werden, können sich die Österreicher zur Wehr setzen. Das wird regelmäßig Prozesse vor den Instanzgerichten notwendig machen, welche verpflichtet sind, die Frage der Verfassungswidrigkeit der Staatsverträge, falls sie diese anzuwenden haben, gemäß Art. 140a Abs. 1 S. 2 und Art. 140 Abs. 1 S. 1 B-VG (nach Maßgabe dieser Vorschriften) vom Verfassungsgerichtshof entscheiden zu lassen. Aber auch ein Drittel der Mitglieder des Nationalrates können die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Staatsverträge beim Verfassungsgerichtshof beantragen. Es kommt also auf die Wahlen an.

Irgendwann werden die Bürger der Völker Europas sich das Unrecht der Integration nicht mehr gefallen lassen, weil sie nicht mehr sagen können, uns geht es doch gut, und die politischen Kräfte nicht mehr wählen, welche sie in das Unglück geführt haben. Die Gefahr ist, dass bis dahin die bürokratische Diktatur der Union so weit entwickelt ist, daß auch diese Möglichkeit genommen ist. Der Verfassungsgerichtshof hat dieser Entwicklung einen weiteren Stein aus dem Weg geräumt.