ÖSTEREICH IST ZUR NEUTRALITÄT VERPFLICHTET!

 

 

 

 

Prof. Dr. iur. Karl Albrecht Schachtschneider
Ordinarius für Öffentliches Recht:

Verfassungsbeschwerde vom 3. Oktober 2008:

- Verteidigungs(Militär)hoheit S 298 ff

- Verlust existentieller Verteidigungshoheit der Mitgliedstaaten S 298 ff

-Immerwährende Neutralität S 303 ff

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Der EU-Vertrag von Lissabon reduziert die österreichische Neutralität (Art. 28a-28e

RA. Rainer Rothe:

Wegen des völkerrechtlich geschützten Vertrauens der anderen Staaten in die von Österreich erklärte und selbst auf die völkerrechtliche Ebene gehobene immerwährende Neutralität, kann es auch keine stillschweigende Beseitigung der österreichischen Neutralität geben; denn die anderen Staaten vertrauen nach wie vor auf das österreichische Versprechen immerwährend neutral zu sein.

Es gibt auch keinen Grund und kein Recht von der Neutralität Österreich abzuweichen. Weder hat sich der Wille der Bürger frei und neutral zu sein, geändert. Noch hat sich die völkerrechtliche Verpflichtung Österreichs, die es 1955 einging, geändert. Österreich bleibt neutral, weil es dieses will, dazu nach wie vor völkerrechtlich verpflichtet ist und die immerwährende bewaffnete Neutralität die begründete Hoffnung der Menschen auf Frieden und gegenseitiger Achtung ist.

Entstehung der Österreichischen Neutralität

Die Republik Österreich hat sich aufgrund seiner Geschichte und der beiden Weltkriege in einem 10-jährigen Ringen aufgrund einer souveränen Entscheidung und in Wahrnehmung seines Rechts auf Selbstbestimmung am 26. Oktober 1955 im Nationalrat durch die Verabschiedung eines Bundesverfassungsgesetzes >download ausdrücklich für immerwährend neutral erklärt >mehr. Durch die am 14. November 1955 erfolgte Notifikation dieses Staatsvertrages an alle 65 Staaten, mit denen Österreich diplomatische Beziehung unterhielt, wurde der Status der dauernden Neutralität auch völkerrechtlich verbindlich (vgl. Hummer, Österreich zwischen Neutralität und Integration, in: Matthias Pape, Österreich - von der Monarchie zum EU-Partner, 2000, Ziffer 5.1., Seite 245 und Ziffer 5.3.4., Seite 249, Ziffer 7.1., Seite 265). Aufgrund dieses international anerkannten Neutralitätsversprechens hin erfolgten verschiedene explizierte Anerkennungen der Staatengemeinschaft. Die Alliierten Siegermächte anerkannten diesen Status durch gleichlautende Noten vom 6. Dezember 1955. Am 14. Dezember 1955 wurde Österreich aufgrund seiner Erklärung zur immerwährenden Neutralität als neutraler Staat in die UNO aufgenommen. An dieser sowohl verfassungsrechtlichen als auch völkerrechtlichen Verbindlichkeit hat sich bis heute nichts geändert.

Umfassender unabdingbarer völkerrechtlicher Inhalt der Neutralität

Es gibt - auch nach der Satzung der Vereinten Nationen (Art. 51) - völkerrechtlich verschiedene Möglichkeiten (militärischer) Sicherheit: Eines davon ist der Status einer immerwährenden Neutralität. Wählt ein Staat die immerwährende Neutralität, so obliegen ihm die gesamten Rechte und Pflichten aus dem völkerrechtlichen Rechtsinstitut der dauernden Neutralität. Der Neutrale ist bei der Option dieses völkerrechtlichen Rechtinstruments nicht berechtigt, dessen Pflichten ad libitum einzuschränken. Selbst wenn also - wie im Falle des österreichischen Bundesverfassungsgesetzes über die Neutralität - nur einzelne Pflichten vom Neutralen im nationalen Gesetz festgeschrieben sind (Kern der rein militärischen Pflichten), umfaßt sein Versprechen an die Völker immerwährend neutral zu sein, völkerrechtlich das gesamte materielle Neutralitätsrecht. Österreich ist also nicht berechtigt, seine immerwährende Neutralität - wie von einigen Politikern versucht wird - auf den rein militärischen Kern (keine Beteiligung an einem Krieg Dritter, kein Beitritt zu militärischen Bündnissen und keine Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Territorium) zu reduzieren. Auch historisch hat sich Österreich bei seinem Neutralitätsverspechen ausdrücklich auf das Modell der Schweizer Neutralität bezogen. So berief sich der damalige Staatssekretär im Außenministerium Bruno Kreisky bei den Verhandlungen mit den Alliierten ausdrücklich auf den Text der auf dem Wiener Kongreß 1815 unterzeichneten Verträge über die Neutralität der Schweiz. Dies ergibt sich auch aus der Verwendungszusage des österreichischen Unterhändlers in Abschnitt I Punkt 1 des sog. Moskauer Memorandum vom 15. April 1955, gemäß derer sich Österreich international dazu verpflichten sollte, "immerwährend eine Neutralität der Art zu üben, wie sie von der Schweiz gehandhabt wird". Das Neutralitätsverprechen Österreichs (wie z.B. auch der Schweiz oder Malta) - die immerwährende Neutralität - umfaßt als völkerrechtliches Rechtsinstitut zum einen die gesamten Rechte und Pflichten eines temporär Neutralen:

a) aktive Handlungsrechte (status positivus),

b) Unterlassungs- und Enthaltungspflichten (status negativus) im Sinne von Abstinenz- und Paritätspflichten,

c) Verhinderungspflichten (status activus) und

d) Duldungspflichten (status passivus).

Hinzu kommen jedoch noch die Pflichten aus der immerwährenden Neutralität:

a) Beachtung der "sekundären" Neutraliltätspflichten oder "Vorwirkungen" der dauernden Neutralität wie

Nichtabschluss von sonstigen Vertägen, die eine Neutralität im Kriegsfall verhindern würden

b) Pflicht zur bewaffneten Neutralität

c) Pflicht zur Führung einer Neutralitätspolitik.

Auch die Verpflichtung zur wirtschaftlichen Neutralität gehört hierzu. "Als Rechtsbegriff bedeutet "wirtschaftliche Neutralität" die Pflicht eines Neutralen, die Kriegsführenden im wirtschaftlichen Bereich (formell) gleich zu behandeln und diese Regel auch innerstaatlich für den privaten Handel durchzusetzen. Hummer (a.a.0, Seite 241) fasst dies dahingehend zusammen, daß dort wo eine wirtschaftliche Ungleichbehandlung eines Kriegsführenden durch eine Neutralen einer Intervention gleichkommt, die neutralitätsrechtlich zulässige Grenze der Freiheit des Handels überschritten ist.

Im Einzelnen sei hier auf Waldemar Hummer, a.a.O. Seite 221, 245f und Dr. Stephan Verosta, Die dauernde Neutralität, Wien 1967 verwiesen. Letzterem ist im Anhang, Seite 113ff, auch die "Offizielle Schweizer Konzeption der Neutralität vom 26. Nov. 1954" zu entnehmen) verwiesen.

Österreich hat sich also mit der Übernahme des Status der immerwährenden Neutralität unter allen denkmöglichen Optionen organisierter bzw. unorganisierter militärischer Sicherheit - für eine einzige sicherheitspolitische Variante, nämlich das Rechtsinstitut der (dauernden) Neutralität an sich entschieden, dessen Inhalt und Umfang völkerrechtlich und historisch durch zahlreiche Rechtsquellen des Völkerrechts festgelegt ist.

Zu Recht weist Hummer (a.a.O. Seite 221, 246) darauf hin, daß Österreich hier keine Reduzierung des Inhalts und Umfanges der immerwährenden Neutralität vornehmen kann, um sich an der NATO, der WEU etc. beteiligen zu können. Die Verpflichtung zur Neutralität gilt allumfassend und immerwährend.

Immerwährend bedeutet dabei sowohl in Kriegs- wie in Friedenszeiten neutral zu sein, sich also nicht nur anläßlich eines Krieges neutral zu erklären, sondern immer und dauerhaft neutral zu sein.

Deshalb hat Österreichischen Außenministers Leopold Figl am 15. Mai 1955 nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages erklärt: "Österreich wird nunmehr als freier, souveräner Staat seinen Platz in der großen Familie der Völker einnehmen und in aktiver Mitarbeit in den weltumfassenden Vertragsorganisationen alles daransetzen, um seinen Beitrag für die Internationale Verständigung und den Frieden leisten.“

Österreich hat sich demnach selbst die Aufgabe und den Platz in der Staatengemeinschaft gewählt - wie die Schweiz - als neutrales Land dauerhaft zu wirken. Diese historische Entscheidung macht das Wesen der zweiten Republik aus. Wie die Schweiz gehört es zum Wesen der 2. Republik sowohl nach innen wie nach außen als neutraler Staat nach besten Kräften zu wirken und diese Neutralität, den damit verbundenen Respekt und sein Land selbstverständlich im Falle eines Angriffes auch militärisch zu verteidigen. Getreu dem Motto Immanuel Kant: Eine Republik verteidigt sich, sie greift aber nicht an.

Damit ist die von Figl verkündete immerwährende Neutralität der Republik zugleich ein immerwährendes Bekenntnis zur Demokratie. Denn nur ein demokratisches Staatswesen kann eine Republik sein, die einen Beitrag zum wirklichen Frieden leisten kann. Frieden kann nur dauerhaft entstehen, wenn er die Natur des Menschen und damit die Menschenrechte, das Selbstbestimmungsrecht der Völker und den demokratischen Rechtsstaat anerkennt.
Keine Beendigung der immerwährenden Neutralität

Über die Frage ob und wie eine selbstgewählte immerwährende Neutralität wieder beendet werden kann, gibt es verschiedene Ansichten und Theorien. Es läßt sich schon darüber streiten, ob - weil es zum Wesen der 2. Republik gehört - die immerwährende Neutralität überhaupt beendet werden kann, ohne das die Republik Österreich zu Ende wäre.

Jedenfalls kann rechtlich die Neutralität nur auf die Weise beendet werden, wie sie eingerichtet wurde. Hummer (a.a.O., Ziffer 5.3., Seite 246ff.) legt überzeugend dar, daß auch rechtlich die Österreichische Neutralität bis heute nicht beendet wurde. Da es sich um einen doppelten Akt der Verpflichtung zur immerwährenden Neutralität handelt (innerstaatlich durch die Verfassung und völkerrechtlich durch Notifikation und Anerkennung von 65 Staaten) bedürfte es auch eines doppelten Aktes zur Aufhebung der immerwährenden Neutralität.

Innerstaatlich wäre hierzu - da es sich um eine Verfassungsänderung handelt - zunächst einmal eine 2/3 Mehrheit im Parlament erforderlich (vgl. Art. 44 Abs. 1 B-VG)

Zum anderen wäre hierzu auch eine Volksabstimmung gem. Art. 44 Abs. 3 B-VG erforderlich. Danach ist jede Gesamtänderung der Bundesverfassung einer Abstimmung des gesamten Bundesvolkes zu unterziehen. Eine Gesamtänderung der Bundesverfassung, die eine obligatorische Volksabstimmung zwingend macht, liegt jedenfalls dann vor, wenn die geplante Veränderung einen der leitenden Grundsätze der Bundesverfassung im Kern berühren würde. Dies ist bei der Aufgabe der Neutralität der Fall.

Aufgrund der völkerrechtlichen Verpflichtung kann die Aufhebung der Neutralität zusätzlich nur durch einen völkerrechtlichen Akt erfolgen. Österreich hat - so Hummer (a.a.O., Ziffer 5.3.4., Seite 249) - "sein Versprechen immerwährend neutral sein zu wollen durch die Notifikation seines Neutralitätsgesetzes (1955) [selbst] auf die völkerrechtliche Ebene gehoben und hat auf dieser auch entsprechende explizite und implizite Akzepte desselben erhalten. Das durch die österreichische Verpflichtungserklärung begründete Vertrauen anderer Staaten auf Beibehaltung eines solchen Verhaltens ist damit zweifellos "völkerrechtlich geschützt" und kann nicht durch einen einseitigen staatsrechtlichen Akt - der nicht einmal notifikationsbedürftig sein sollte - abbedungen werden."

Immerwährende Neutralität ist also ein Versprechen an die Menschheit auf das diese vertrauen darf.

Da es bereits an einem eindeutigen Votum der Bürger Österreichs zur Aufgabe des Wesens ihrer Republik fehlt, besteht rechtlich die immerwährende Neutralität fort.

Da zum anderen der Inhalt der immerwährenden Neutralität völkerrechtlich vorgegeben ist, besteht die Österreichische Neutralität nach wie vor im vollen Umfang.

Gemessen daran sind bereits zahlreiche politische Akte der österreichischen Regierung verfassungs- und völkerrechtswidrig.

Auch der Beitritt zur EU/EG ist schon deshalb verfassungswidrig, da bereits der Vertrag von Maastricht Bestimmungen enthält, die im Widerspruch zur Österreichischen Neutralität stehen.

Österreich hat hier als einziges neutrales Land in seinem Beitrittsgesuch einen Neutralitätsvorbehalt gemacht. Er wurde - so Hummer - später fallen gelassen. Zum damaligen Zeitpunkt kam es hierauf jedoch nicht an, da das Einstimmigkeitsprinzip Österreich in den entscheidenden Fragen zur Erhaltung seiner Neutralität ein Vetorecht gab. Österreich hat also die Möglichkeit durch Erhebung seines Veto neutral zu bleiben. Dies ist deshalb von Bedeutung, weil die Pflicht zur Neutralität auch im Widerspruch mit Wirtschaftssanktionen stehen kann und bereits der EU- Vertrag von Maastricht Wirtschaftssanktionen ermöglicht. Das Österreichische Parlament hat deshalb - ohne daß Volk zu fragen - einen Art. 23 f in die Bundesverfassung eingefügt, der ihm die Teilnahme an solchen Sanktionen ermöglichen soll. Auch diese Verfassungsänderung stellt jedoch die immerwährende Neutralität nicht grundsätzlich in Frage, da Österreich eben gerade die Möglichkeit eines Vetos hierzu in der EU/EG hat und deshalb ggf. durch die Ausübung seines Vetos neutral bleiben kann. In diesem Zusammenhang ist im übrigen der Vertrag von Nizza genau zu prüfen. Die Österreichische Regierung hat alles zu unterlassen, was die Neutralität einschränken würde.

Die Abstimmung über den Beitritt zur EU/EG war keine Abstimmung über die Neutralität. Vielmehr wurde der Bevölkerung ausdrücklich versprochen, daß die Neutralität bleibt.

Auch der Beitritt zu den Vereinten Nationen im Dezember 1955 steht nicht im Widerspruch zur Neutralität. Die Aufnahme Österreichs erfolgte in Kenntnis der Tatsache, daß Österreich ggf. seinen Verpflichtungen aus der immerwährenden Neutralität den Vorrang vor seinen Verpflichtungen aus der Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen geben wird und geben muß. Schließlich hatte sich Österreich erst kurz zuvor für immerwährend neutral erklärt. Im Ergebnis steht Österreichs Mitgliedschaft deshalb unter einem stillschweigenden Neutralitätsvorbehalt (vgl. Bruno Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen 1991, Kommentar, Art. 4 Rn. 41).

Auch ist die Österreichische Neutralität nicht obsolet geworden oder für obsolet erklärt worden. Gerade in den heutigen Zeiten bedarf es neutraler Staaten zur Sicherung des Friedens in der Welt. Dies zeigen auch die übrigen Aufgaben der dauernd neutralen Staaten sowie der guten Dienste in der Schweiz. Auch können internationale Vermittlungen nur auf neutralem Boden stattfinden. Auch hat Österreich selbst die Neutralität nicht für obsolet erklärt, da es am 6. November 1990 ausdrücklich nur die überholten Art. 12 bis 16 des Staatsvertrages von Wien-Belvedere für obsolet erklärt hat.

Völkerrechtlich gibt es keine ewigen Verpflichtungen. Die clausula rebus sic stantibus Theorie besagt daher, daß wenn sich bei objektiver Betrachtung die Umstände, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses eine wesentliche Grundlage für die Zustimmung der betreffenden Vertragsparteien zum Vertragsschluß bildeten, geändert haben, sich also die Geschäftsgrundlage objektiv völlig geändert hat, eine Auflösung möglich ist. Zum einen hat sich die Grundlage nicht geändert. Zum anderen kann die Änderung nicht einseitig von Österreich aus subjektiv angenommen und gesetzt werden.

Wegen des völkerrechtlich geschützten Vertrauens der anderen Staaten in die von Österreich erklärte und selbst auf die völkerrechtliche Ebene gehobene immerwährende Neutralität, kann es auch keine stillschweigende Beseitigung der österreichischen Neutralität gegeben; denn die anderen Staaten vertrauen nach wie vor auf das österreichische Versprechen immerwährend neutral zu sein.
Bürgerwille zur Neutralität

Ein Volk wie Österreich ringt nicht 10 Jahre nach den Greueln des zweiten Weltkrieges um seine Souveränität und Freiheit als immerwährend neutraler Staat, um dies nur ein halbes Jahrhundert später - ohne Grund - den Interessen einer sich klar als Angriffsbündnis deklarierten NATO / EU oder ähnliches zu unterwerfen. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, das Prinzip der ständigen Freiwilligkeit der Völker sowie das unaufhebbare Recht der Bürger selbst zu entscheiden bilden das Recht der Völkergemeinschaft. Der Wille der Bürger eines Volkes neutral zu sein und für alle Zeit zu bleiben, so wie es Figl 1955 den Österreichern und den Völkern der Welt verspracht, ist in jedem Fall von allen absolut und immer zu respektieren. Alles andere wäre Barbarei. Ein Wille der Bürger Österreichs von der Neutralität Abstand zu nehmen ist jedoch gerade nicht erkennbar. Im Gegenteil: 70% der Österreicher wollen nach wie vor neutral sein. Wäre eine Welt neutraler souveräner Staaten nicht ein Seegen für uns alle. Der wirkliche Frieden ist möglich, wenn die Bürger ihr Recht zum Frieden selbst in die Hand nehmen und ihr Land für immerwährend neutral erklären.

Quelle: Rainer Rothe, Rechtsanwalt

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(1) Als Notifikation bezeichnet man im diplomatischen Sprachgebrauch die amtliche Verständigung eines Staates durch einen anderen über den bevorstehenden oder erfolgten Eintritt einer rechtserheblichen Tatsache.

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Anderer Link: >hier

Gespräch mit Justizminister a.d.Dr. Hans Richard Klecatsky:

Redaktion:
Die Neutralität Österreichs wird – so argumentieren auch Verfassungsexperten - ständig den internationalen Anforderungen angepasst – und so auf einen „Kern“ reduziert. Am 18. Juni 1998 beschloss der Nationalrat mit den Stimmen der SPÖ, der ÖVP und des Liberalen Forums, also unter einer SPÖ – geführten Regierung, den Artikel 23f der österreichischen Bundesverfassung, wonach für die Teilnahme an EU-Militäreinsätzen ausdrücklich kein UNO-Mandat notwendig ist.

Noch dazu bringt der EU-Vertrag von Lissabon die militärische Aufrüstung mit allen Mitteln, der Einsatz österreichischer Soldaten in Drittstaaten im Kampf gegen den „Terror“ und eine Beistandsverpflichtung im Falle eines Angriffs auf einen Mitgliedsstaat der Union. Stehen diese Verfassungsänderungen überhaupt zur Disposition des Gesetzgebers?

KLECATSKY:
Das Bundesverfassungsgesetz vom 26. Oktober 1955 über die immerwährende Neutralität Österreichs „nach Schweizer Muster“ steht nach wie vor in voller Geltung und es kann gegenwärtig rechtsgültig weder geändert, noch beseitigt werden, auch nicht durch eine Volksabstimmung nach Art. 44 Abs. 3 B-VG.

Es vollendete erst – jeglichen innerösterreichischen Verfassungsfragen vorausgehend - die schon vor Ende des Zweiten Weltkrieges mit der Unabhängigkeitserklärung Österreichs vom 27. April 1945 (StGBl Nr.1) eingeleitete Phase der konstitutionellen Wiederherstellung der Zweiten Republik als freien und unabhängigen Staat unter Beendigung der Fremdbesetzung ihres Staatsgebietes durch die vier alliierten Siegermächte im Wege des „Moskauer Memorandums“ vom 15. April 1955 und des diesem folgenden Wiener Staatsvertrags vom 15. Mai 1955 (BGBl Nr.152). Damit erst erlangte die Republik ihre voll handlungsfähige, souveräne Staatsqualität.

Das Neutralitätsverfassungsgesetz gehört somit zu dem Komplex der dem heutigen Bundesverfassungsrecht vorgelagerten und dessen volle Geltung erst bewirkenden Staatsgründungakten der Zweiten Republik.

Der 26. Oktober wurde denn auch in ausdrücklicher Erinnerung an dieses staatsfundamentale Ereignis zwölf Jahre später zum Nationalfeiertag im ganzen Bundesgebiet erklärt. Und zwanzig Jahre später wurde die immerwährende Neutralität auch noch unter den besonderen Schutz der auch für sich in alle Zukunft weisenden verfassungsrechtlichen Staatszielbestimmung der „umfassenden Landesverteidigung“ gestellt.

Art. 9a B-VG sagt: „Österreich bekennt sich zur umfassenden Landesverteidigung, ihre Aufgabe ist es, die Unabhängigkeit nach außen sowie die Unverletzlichkeit und Einheit des Bundesgebiets zu bewahren, insbesondere zur Aufrechterhaltung und Verteidigung der immerwährenden Neutralität.

Hierbei sind auch die verfassungsmäßigen Einrichtungen und ihre Handlungsfähigkeit sowie die demokratischen Freiheiten der Einwohner vor gewaltsamen Angriffen von außen zu schützen und zu verteidigen (Abs.1).
Zur umfassenden Landesverteidigung gehören die militärische, die geistige, die zivile und die wirtschaftliche Landesverteidigung (Abs. 2). Staatszielbestimmungen solcher Art, einmal erlassen, weisen auch schon für sich über zeitlich befristete Legislaturperioden hinaus und können daher durch nur auf Zeit gewählte Staatsorgane, einschließlich des Parlaments, nicht sistiert werden.

Die Neutralität ist also mit der äußeren und inneren verfassungsrechtlichen Identität der 2. Republik samt ihren inneren „Baugesetzen“ oder „Grundprinzipien“, mit ihrem Werden und ihrer Zukunft nach dem klaren Wortlaut des Neutralitätsverfassungsgesetzes „immerwährend“, “dauernd“, “für alle Zeiten“ verknüpft – somit eine die einfachen, nicht „immerwährenden“ Verfassungsbestimmungen des B-VG überragende und auch dessen später leichtfertig eingefügten Art. 23f von vorneherein begrenzende Staatsfundamentalnorm oder Staatsexistenzialnorm, die als solche ausschließlich der Selbstbestimmung des österreichischen Volkes unterliegt.

Nicht nur Politiker, auch Rechtswissenschaftler, die heute noch die verfassungsrechtliche Axiomatik der dem österreichischen Volk im Ganzen zuzurechnenden Wiedererrichtung der 2. Republik (1945) unter Abzug der alliierten Besatzungsmächte (1955) verneinen, sollten dies offen sagen !

Kann somit von einer „Derogation“ des Neutralitätsverfassungsgesetzes - wie auch durch Einsichtnahme in den gewiss radikalen Kahlschlag des Ersten Bundesverfassungsrechtsbereinigungsgesetzes festzustellen ist - keine Rede sein, so bleibt es Sache der österreichischen Staatsorgane und einer sie kontrollierenden öffentlichen Meinung, in konkreten Neutralitätsfällen, die aus der somit verfassungswidrigen (Verfassungsbestimmung) des Art. 23f B-VG entspringenden Zumutungen zurückzuweisen. Zu ignorieren sind dabei alle Einwände, die auf die verfassungsrechtliche Belanglosigkeit der „Immerwährigkeit“ der Neutralität aus etymologischen oder militärischen Gründen hinauslaufen. Eine Verfassungsnorm, die sich als „immerwährend“, “dauernd“, “für alle Zeiten“ geltend erklärt, kann schon aus rechtslogischen Gründen nur durch eine höherrangige, nicht durch eine gleichrangige beseitigt oder eingeschränkt werden .

Neutralität bedeutet Beitrag zum Frieden in der Welt, der niemals ein für allemal gesichert ist. Die österreichische Neutralität ist nach „Schweizer Muster“ und diese besteht seit Jahrhunderten. Zur Beeinträchtigung des Neutralitätsstatus durch Art. 27 Abs.7 des Lissabonner EU-Vertrags verweise ich auch auf die Betrachtungen des Linzer Völkerrechtsprofessors Manfred Rotter: “Beistandspflicht oder Neutralität - Österreichs Außen- und Sicherheitspolitik am Scheideweg“ ; er trat insofern für eine, wenn auch fakultative Volksabstimmung nach Art. 44 Abs. 3 B-VG ein. Willibald P. Pahr, ehemaliger Leiter des Verfassungsdienstes im Bundeskanzleramt und langjähriger Außenminister, schon 1967 am 3. Österreichischen Juristentag und am 27. Februar 2008 im Wiener Justizpalast sah in der Neutralität überhaupt ein unter Art. 44 Abs. 3 B-VG fallendes Grundprinzip der Bundesverfassung, was sie natürlich auch, aber eben noch mehr ist. Nur das Volk (Art 1 B-VG), nicht seine Repräsentanten können von ihr rechtsgültig Abschied nehmen. Will man solches und lässt die gegenwärtige ruinenhafte Bundesverfassung für einen solchen Volksentscheid keinen Raum, so muss er erst in Ergänzung der Verfassung geschaffen werden und zwar wieder durch Volksabstimmung. Es geht schon für sich nicht an, dass auf Zeit gewählte Funktionäre der Republik eigenmächtig „immerwährendes“ Staatsfundamentalrecht auch nur zeitweise beeinträchtigen. Die obersten Staatsorgane: Bundespräsident, Bundesregierung und in ihr den Bundesminister für Landesverteidigung trifft kraft ihrer verfassungsrechtlichen Führungskompetenzen gegenüber dem Bundesheer (Art 80 B –VG) in Verbindung mit der Staatszielbestimmung des Art. 9a B-VG die besondere Verpflichtung, die Neutralität der Republik positiv zu schützen, auch „geistig“, “zivil“, “politisch“, nach allen Seiten hin, also auch gegenüber der EU und nicht nur gelegentlich, reduziert, sondern voll.

Darüber Verdross , "Österreichs Neutralität- ein Beitrag zum Frieden in der Welt“ in: Klecatsky (Hg), “Die Republik Österreich-Gestalt und Funktion ihrer Verfassung“, Wien 1968, 287 ff.

Bundesgesetz vom 28. Juni 1967, BGBl 263.

Einfügung durch Art I Z 1 des BVG vom 10. Juni 1975, BGBl 368.

BGBl I Nr. 2/2008.

Zu diesem Problemkreis Kramer: “ 44 B-VG als ‚Initial Hypothesis' der österreichischen Rechtsordnung“ unter Verweis auf Alf Ross in FS - Hellbling (1971) 351 ff. Dazu gerade auch Öhlinger: “ Der Stufenbau der Rechtsordnung- Rechtstheoretische und ideologische Aspekte“ (1975), der Ross und Kramer in seinem Literaturverzeichnis führt, zur Derogationsfrage. N.B.: Merkl: Recht regelt seine eigene Erzeugung, daher mindestens zwei Rechtserzeugungsstufen notwendig , solches liegt auch der Erzeugung der Verfassung zugrunde.

IX ZIP IV/2007, S.12, abgeschlossen mit 1. Dezember 2007.